Besuch in den Wohngruppen Bartels

Am 17.10. hatten wir die Gelegenheit zu einem interessanten Besuch in den Wohngruppen Bartels in Dresden. Interessant war er für uns vor Allem, weil wir das Leben einiger unserer Teilnehmer außerhalb von Gut Leben kennenlernen durften. Beide Einrichtungen, die Wohngruppen Bartels und Gut Leben, bilden den Lebensmittelpunkt für eine kleine Zahl von Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen. Viel zu klein ist diese Zahl, weil wir überregional gesehen die einzigen Einrichtungen sind, die gemeinsam daran arbeiten, für die Betroffenen einen individuellen Alltag zu schaffen, in dem sie Stabilität in einem behüteten sozialen Umfeld erfahren und in ihrer Selbstständigkeit gefördert und gefordert werden.

Die Voraussetzungen zur Erfüllung dieser gemeinsamen Ziele haben sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Beide Einrichtungen bringen viel Erfahrung und Einfühlungsvermögen mit. Wir haben uns kurze Kommunikationswege eingerichtet und stehen in ständigem Austausch zu organisatorischen und therapeutischen Themen.

Über die Arbeit von Gut Leben haben wir an dieser Stelle schon viel berichtet, darum liegt der Fokus im nachfolgenden Interview mit Sylvia Bartels, Geschäftsführerin der Persönliches Budget-Management Torsten & Sylvia Bartels GbR, auch auf den Wohngruppen.

Frau Bartels, wieso betreuen Sie Menschen mit erworbener Schädelhirnverletzung?

Ich bin seit 1999 in der Arbeit mit schädelhirnverletzten Menschen tätig und habe mich darauf spezialisiert. Mir liegt an der Arbeit mit diesen Menschen. Es handelt sich hier um Schicksale, die jeden von uns treffen können und uns von einem Moment auf den anderen aus unserem Alltag und unserer Sicherheit reißen können. Es ist mir ein Bedürfnis und eine Herausforderung, einen Teil zum Wiedererlangen von Lebensqualität beitragen zu können.

Aus der ambulanten Betreuung kommend, gründeten Sie die WG Bartels in Dresden Plauen. Was veranlasste Sie dazu?

Ich bin seit 2004 als Freiberuflerin in der ambulanten Betreuung von Menschen mit erworbener Schädelhirnverletzung tätig. Ich arbeite im direkten häuslichen Umfeld der Betroffenen, so dass ich die persönlichen und familiären Situationen hautnah erlebe.

Ich habe vielfach erlebt, dass junge Menschen, die sich gerade von ihrem Elternhaus abgenabelt haben, nach dem Unfallereignis wieder nach Hause zurückkehren mussten. Das hat früher oder später auf beiden Seiten für Anspannung gesorgt, da die jungen Menschen ein eigenständiges Leben führen wollten, den Anforderungen aber nicht gerecht wurden. Ich habe ebenso Familien erlebt, die unter der schädigungsbedingten Wesensänderung des betroffenen Partners sehr gelitten haben oder daran zerbrochen sind. Außerdem habe ich junge Menschen erlebt, die mit einem hohen Pflegeaufwand nach Hause geschickt wurden, was für die Familien eine Überforderung darstellte. Alternative wäre eine Pflegeeinrichtung gewesen.

Anfang 2011 ballte sich der Bedarf, so dass ich mir mit meinem Mann konkret über die Umsetzung Gedanken gemacht habe. Wir haben dann innerhalb von drei Monaten das Projekt auf der Chemnitzer Straße auf die Beine gestellt und konnten im Juli 2011 die erste Wohngruppe mit fünf Bewohnern eröffnen.

Wann und weshalb folgte die Ausweitung auf Weixdorf und was ist der Unterschied zu den bisherigen WGs?

Vor Weixdorf gab es bereits 2014 und 2015 zwei Erweiterungen in unmittelbarer Nähe der Hauptwohngruppe. Wir haben zwei Außenwohngruppen mit zwei und vier Plätzen installiert.

Die Wohngruppensituation hat sich so dargestellt, dass das Angebot immer bekannter wurde, was sich in entsprechenden Nachfragen widerspiegelte. Der Aufenthalt der einzelnen Bewohner ist meist längerfristig angelegt. Es gibt einzelne Maßnahmen, die von vornherein mit einem halben bis einem Jahr befristet und als Selbständigkeitserprobung -,training angelegt sind.
In der Regel sind die vorhandenen Plätze eher langfristig belegt, so, dass wir die Anfragen nicht bedienen konnten, sondern auf langfristige Wartelisten setzen mussten.

Wir haben daher nach einer Erweiterungsoption gesucht, die mehr Kapazitäten bietet und auch die Option hat, die bisherigen Standorten zu vereinen.

Die Suche nach einem geeigneten Kaufobjekt hat circa drei Jahre gedauert. In Weixdorf sind wir fündig geworden. Neben der Neuschaffung von neun Plätzen in einem umgebauten Einfamilienhaus sowie der Bereitstellung von zwei Wohnungen für zwei und drei Bewohner haben wir somit 14 Plätze geschaffen. Der Standort Weixdorf ist seit Dezember 2017 in Betrieb. Die komplette Fertigstellung erfolgte September 2018.

Inhaltlich gibt es keinen Unterschied zu den bestehenden Wohngruppen. Es hat sich allerdings herauskristallisiert, dass unsere Wohngruppe auf der Chemnitzer Straße vorrangig Bewohner mit einem höheren Pflegebedarf betreut. Unsere Außenwohngruppe in Altplauen sowie die Wohngruppen in Weixdorf bewohnen vorrangig körperlich fittere Bewohner.

Können Sie allen Anfragen gerecht werden? Wie ist die Tendenz der Anzahl der Anfragen für betreutes Wohnen für Menschen mit erworbenen Hirnschäden in den letzten 3 Jahren?

Mit wachsendem Bekanntheitsgrad sind die Anfragen in den letzten Jahren gestiegen. Zunächst war unser Angebot vorwiegend unter den Berufsgenossenschaften bekannt. Mit unserem Internetauftritt haben sich immer mehr Betroffene und Angehörige bei uns gemeldet, wo ein privater Unfall passiert war und die Zuständigkeit beim Sozialhilfeträger lag.

Wir können aufgrund der Auslastung den Anfragen nicht sofort gerecht werden, sondern arbeiten mit einer Warteliste. In den Gesprächen ergeben sich manchmal auch andere Lösungsansätze, wie zum Beispiel, dass eine häusliche Assistenz auch sinnvoll und hilfreich ist.

Stehen betroffenen Interessenten hohe Hürden bei der Beantragung entgegen?

Der Zugang in unser Wohnangebot gestaltet sich mit einer Berufsgenossenschaft oder Haftpflichtversicherung im Hintergrund unkomplizierter und schneller.
Wir freuen uns aber, dass wir inzwischen auch den Betroffenen mit einem Sozialhilfeträger im Hintergrund den Zugang zu uns ermöglichen können. Dies erfolgt über das persönliche Budget. Der Beantragungsweg gestaltet sich mit durchschnittlich 6 Monaten langwieriger aber machbar.

Wie gestalten Sie die Freizeit der Bewohner?

Die Freizeitbeschäftigungen- und Veranstaltungen richten sich nach den Wünschen unserer BewohnerInnen. Bspw. an den Wochenenden planen wir immer gemeinsam mit allen BewohnerInnen einen großen gemeinsamen Ausflug, dabei können alle ihre Wünsche und Vorschläge einbringen und gemeinsam entscheiden, was unternommen werden soll.
Unter der Woche besteht auch immer die Möglichkeit, Freizeitaktivitäten zu unternehmen. Teilweise organisieren sich die BewohnerInnen selbständig, teilweise leiten die BetreuerInnen unserer Einrichtung an und setzten Impulse für mögliche Ausflüge und Aktivitäten.
Zu den Aktivitäten gehören unter anderem bspw. Ausflüge in die Stadt, in die Natur, zum Einkaufen, Eis essen, abends zum Essen gehen, zu Stadtfesten, die Teilnahme an Sportaktivitäten, wie der REWE Team Challenge, zu einem Fußballspiel zu gehen, oder zu Konzerten, ins Theater, in die Oper, auf den Sportplatz um dort Fußball, Federball, Tischtennis o.ä. zu spielen etc.

Im häuslichen Rahmen, im normalen Alltagsgeschehen finden regelmäßig Spieleabende, Filmabende oder Spaziergehrunden statt, welche die BewohnerInnen je nach Bedarf initiieren können, oder welche durch die BetreuerInnen angeregt werden.

Wie unterschiedlich beeinträchtigt sind Ihre Bewohner und wie gehen Sie damit um? (Stichwort Heterogenität)

Unsere BewohnerInnen sind jeder auf unterschiedliche Art mehr oder weniger schwer, sowohl körperlich als auch kognitiv beeinträchtigt. Einige BewohnerInnen sitzen im Rollstuhl, benötigen viel Unterstützung in der Bewältigung aller Aufgaben des täglichen Lebens, d.h. sich zu kleiden, zu waschen, sich entsprechend zu ernähren und Essen zuzubereiten. Beim Waschen von Kleidung, beim Einkaufen etc. Auf Grund der eingeschränkten Mobilität ist es notwendig, dass diese BewohnerInnen zu allen Therapien und auch zu Freizeitaktivitäten dauerhaft durch unsere BetreuerInnen begleitet werden.

Andere BewohnerInnen benötigen weniger Hilfe bei den alltäglichen Aufgaben, sind körperlich mobiler und damit auch besser in der Lage ihren Alltag selbständiger zu meistern, aber auch bei den körperlich weniger beeinträchtigten BewohnerInnen unterscheiden sich die Bedarfe enorm. Je nach Schwere der kognitiven Einschränkungen richten sich die Unterstützungsleistung seitens der BetreuerInnen.

Die Unterschiede im Sinne der Beeinträchtigung können natürlich im Alltag teilweise auch zu Konflikten der BewohnerInnen untereinander führen, tendenziell zeigt sich aber, dass die BewohnerInnen sehr viel Toleranz gegenüber anderen Beeinträchtigungsformen entwickeln und damit auch ein größeres Verständnis für ihre eigene Erkrankung oder Behinderung erlangen können.

Gibt es einen WG-Sprecher, Alltagsverantwortlichkeiten oder Ähnliches?

Eine/n WG-SprecherIn gibt es nicht. Vielleicht eine gute Idee!

Alltagsverantwortlichkeiten haben alle BewohnerInnen. Da alle gemeinsam in einer Wohngemeinschaft leben, müssen auch alle ihren Beitrag für ein gelingendes Zusammenleben beisteuern.

Diese Aufgaben umfassen vor allem die Ordnung und Sauberkeit im WG-Bereich. An den Wochenenden haben alle BewohnerInnen Ihnen zugeteilte Bereiche, für deren Sauberkeit sie verantwortlich sind, immer mit der Unterstützung der BetreuerInnen. Unter der Woche beinhalten diese Aufgaben den Müll raus zu bringen, den Geschirrspüler ein und auszuräumen, die Blumen zu gießen und generell in allen Gemeinschaftsbereichen auf Sauberkeit und Ordnung zu achten, auch im Außenbereich.

Im Miteinander-Leben kristallisieren sich dann sehr schnell noch indirekte Verantwortlichkeiten heraus, welche die BewohnerInnen zumeist unabgesprochen und untereinander selbst klären wie z.B. die Person, welche die anderen zu Sauberkeit ermahnt, oder zu Ruhe in der Mittagszeit, die Person, welche anderen hilft bei der Essenszubereitung, bei Ausflügen andere BewohnerInnen im Rollstuhl schiebt usw.

Wie viele Ihrer Bewohner haben eine Arbeit/Tätigkeit und welcher Arbeitstätigkeit gehen sie nach?

Der größte Teil unserer Bewohner ist in Gut Leben eingebunden. Ein Klient besucht eine WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen), einer ist individuell in einer Holzwerkstatt mit einer 1:1 Betreuung angebunden. Einige wenige Bewohner sind noch in keiner Tagesstruktur eingebunden, weil diese erst entwickelt werden muss. Eine Bewohnerin befindet sich in der Erprobung auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Abschließend möchten wir einen positiven Ausblick von Ihnen haben. Wo sehen Sie die WG Bartels in 5 Jahren?

Wir streben die Erweiterung von Weixdorf an und planen den Ausbau des dortigen 3-Seiten-Gebäudes. Wir wollen dort 1-Zimmer-Appartements schaffen, um gerade für unsere Dauerbewohner ein größeres Gefühl von Eigenständigkeit zu installieren. Geplant ist die dortige Einbindung unserer beiden Wohngruppen der Chemnitzer Straße und von Altplauen. Es soll also einen Standort in Weixdorf mit 25 Plätzen geben.

Trotz des großen Standorts ist es uns wichtig, in sich kleinere Wohneinheiten zu schaffen, so dass das Gefühl eines Zuhauses bleibt. Wir wollen kein Wohnheim, sondern eine größtmögliche Lebensnormalität. Dazu gehört eine gelungene Integration in das Wohnumfeld. Wir pflegen Kontakte zu den Nachbarn und umliegende Firmen, um keine Berührungsängste und Vorurteile aufkommen zu lassen. Dies ist uns bisher gut gelungen und unsere Bewohner fühlen sich angenommen.

Frau Bartels, haben Sie besten Dank für die gewährten Einblicke in Ihr WG-Leben.

Das Interview führte Susanne Tharun.

Silvia und Torsten
Wohngruppe in Weixdorf
Wohngruppe in Dresden Plauen
Wohngruppe in Dresden Plauen
Wohngruppe in Dresden Plauen
Wohngruppe in Dresden Plauen
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Wohngruppe in Weixdorf
Wohngruppe in Weixdorf
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